Osnabrücks „grüne“ Fassade bröckelt: Die Politik der falschen Prioritäten

Kein Geld für den ÖPNV, aber Millionen fürs Stadion und den FMO

Die Stadt Osnabrück, stolze Trägerin des Deutschen Nachhaltigkeitspreises 2020, präsentiert sich gern als Vorreiterin in Sachen Klimaschutz und lebenswerter Stadtentwicklung. Offizielle Ziele wie die Klimaneutralität bis 2040 untermauern diesen Anspruch. Doch hinter dieser sorgfältig gepflegten Fassade verbirgt sich eine Realität, die von einer tiefen Kluft zwischen propagiertem Anspruch und tatsächlichem politischem Handeln geprägt ist.

Während Oberbürgermeisterin Katharina Pötter (CDU) am 06.05.2025 in der NOZ die „größte Finanznot seit Kriegsende“ ausruft und den Bürger:innen einen harten Sparkurs auferlegt, fließt das Geld an anderer Stelle in Strömen – für Prestigeprojekte und klimaschädliche Subventionen. Nur einen Tag später, am 07.05 schreibt die NOZ dann, dass die Stadt das VFL-Stadion für 67 Millionen Euro übernehmen will! Ihre Analyse, die Stadt habe kein Einnahmen-, sondern ein „Ausgabenproblem“, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als eine manipulative Rhetorik, die eine unsoziale und ökologisch rückschrittliche Politik rechtfertigen soll.

Diese Darstellung ist mehr als eine Zustandsbeschreibung; sie ist eine strategische Rahmung, die unpopuläre Kürzungen als alternativlos erscheinen lässt und den Diskurs auf die Frage verengt, wo gespart werden muss, anstatt ob und auf wessen Kosten. Die Inszenierung einer finanziellen Notlage von historischem Ausmaß – die Rede ist von einem drohenden Haushaltsloch von einer halben Milliarde Euro in den kommenden drei Jahren und einer jährlichen Kontoüberziehung von gut 100 Millionen Euro ab 2025 – zielt darauf ab, Kritik an der Prioritätensetzung im Keim zu ersticken.

Wenn die Oberbürgermeisterin auf Kritik an maroden Schulen oder einem kaputtgesparten ÖPNV entgegnet: „Verdammt nochmal, reden Sie die Stadt nicht schlecht!“, so ist dies ein Versuch, legitime Einwände als Miesmacherei abzutun und von der eigenen Verantwortung für politische Entscheidungen abzulenken. Doch so wichtig und richtig diese Ziele sind, so ernüchternd ist der Blick auf die Realität der aktuellen Haushaltspolitik. Anstatt die notwendigen Mittel für den Ausbau bereitzustellen und die Verkehrswende aktiv voranzutreiben, geschieht das genaue Gegenteil. Die Kluft zwischen politischem Anspruch und finanzieller Wirklichkeit könnte kaum größer sein. Aber was steckt hinter diesen so offensichtlichen widersprüchlichen Schlagzeilen?

Der systematische Kahlschlag bei der Verkehrswende

Die proklamierte Verkehrswende, ein Kernstück der städtischen Nachhaltigkeitsziele, wird durch die aktuelle Politik systematisch ausgebremst und konterkariert.

1. Der ÖPNV wird kaputtgespart

Unter dem Deckmantel des Sparens wird das Rückgrat der städtischen Mobilität geschwächt. Die Pläne, ab 2027 jährlich rund fünf Millionen Euro beim Busnetz einzusparen, sind nur die Fortsetzung eines langjährigen Trends. Bereits im September 2023 beschloss der Rat Kürzungen, die ab Februar 2024 griffen: Die Ringlinie 10/20 wurde im dicht besiedelten Stadtteil Schinkel „amputiert“, Hörne „komplett abgehängt“ und Atterfeld „nur noch mit Umsteigezwang erreichbar“ gemacht. Die Argumentation der Stadtführung, man müsse „an den Rändern Kapazitäten wegnehmen“, um die Mitte zu stabilisieren, offenbart eine Logik, die soziale Teilhabe und die Anbindung von Wohngebieten der reinen Effizienz unterordnet.

Die Konsequenzen der neuen Sparrunde, die unter anderem die komplette Streichung der Nachtbusse, Taktausdünnungen (auch bei Metrobussen) und weitere Linienkürzungen (Teile der Linie 17 stehen zur Disposition) umfassen, sind absehbar. Fahrgastverbände wie der VCD und Pro Bahn schlagen bereits Alarm. Tobias Demircioglu vom VCD Osnabrück fragt: „Was sollen die Fahrgäste noch alles aushalten?“. Martin Sturm von Pro Bahn warnt vor einem drohenden „Kahlschlag“ und kritisiert, dass offenbar die Frage „Was kann weg?“ die Planung bestimme, nicht die Bedürfnisse der Fahrgäste. Dies ist umso unverständlicher, als das Busnetz 2020 eine gute Grundlage bot, aber aufgrund der Pandemie nie eine Chance zur Etablierung hatte und 2024 trotz wieder angestiegener Fahrgastzahlen weiter geschwächt wurde.

Solche Entscheidungen treffen jene am härtesten, die auf einen funktionierenden ÖPNV angewiesen sind: Menschen mit geringem Einkommen, Studierende, Ältere und Personen ohne eigenes Auto. Der Verlust von Mobilität bedeutet für sie eingeschränkten Zugang zu Arbeit, Bildung und medizinischer Versorgung.

2. Der Radentscheid wird blockiert

Besonders entlarvend ist der Umgang mit dem Radentscheid. Oberbürgermeisterin Pötter, die sich im Wahlkampf noch als Förderin des Radverkehrs inszenierte und deren Arbeitsschwerpunkte laut städtischer Webseite den „Umbau der Mobilität“ umfassen, lässt die Umsetzung der von den Bürger:innen mit über 10.000 Unterschriften geforderten Maßnahmen gezielt schleifen. Die vollständige Realisierung der Ziele – darunter der Bau von jährlich mindestens fünf Kilometern sicherer Radwege – würde laut Berechnungen der Initiative über acht Jahre verteilt rund 108,5 Millionen Euro kosten. Dank massiver Förderungen von Bund und Land (bis zu 75%) läge der tatsächliche Anteil der Stadt bei nur etwa 20 Euro pro Bürger:in und Jahr. Eine vergleichsweise geringe Summe für eine echte, sichere Verkehrswende, die zudem einen Bürger:innenwillen abbildet.

Doch selbst diese wird mit dem Verweis auf leere Kassen verweigert. Von den im Radentscheid geforderten Zielen ist man weit entfernt; eine eigentlich jährlich stattzufindende transparente, öffentliche Bilanz über den Umsetzungsstand fehlt seit Jahren gänzlich. Stattdessen werden Bürger:innenbeteiligungen ausgebremst, und Initiativen müssen immer wieder auf die mangelhafte Qualität und die enormen Verzögerungen bei einzelnen Projekten oder die generelle Nichtumsetzung aufmerksam machen. Die Handhabung des Radentscheids untergräbt das Vertrauen in demokratische Prozesse und die Ernsthaftigkeit, mit der Bürger:inneninitiativen behandelt werden, wenn sie tatsächliche Ressourcenallokationen erfordern.

Die wahren Prioritäten: Millionen für Beton und Kerosin

Während für Bus und Rad angeblich kein Geld da ist, zeigt sich die Stadt bei anderen Projekten erstaunlich großzügig. Die Behauptung der leeren Kassen wird hier ad absurdum geführt.

1. Das Millionengrab FMO

Der Flughafen Münster/Osnabrück (FMO) ist ein Fass ohne Boden, das von den Steuerzahlenden künstlich am Leben erhalten wird. Die Stadt Osnabrück ist nicht direkt, aber über ihre 100-prozentige Tochtergesellschaft, die Osnabrücker Beteiligungs- und Grundstücksentwicklungsgesellschaft mbH (OBG), mit 17,2% am FMO beteiligt. Kritisierende beziffern die Summe der öffentlichen Finanzhilfen (Verlustausgleiche und Darlehen) allein zwischen 2014 und 2020 auf rund 100 Millionen Euro. Andere Quellen sprechen von kumulierten Verlustausgleichen durch Steuergelder von rund 120 Millionen Euro zwischen 2006 und 2022. Aus dem „Finanzierungskonzept 2.0″ (€35 Mio. Darlehen für 2021-2025) ergibt sich für die Stadt Osnabrück über die OBG eine jährliche Belastung von über 1,2 Millionen Euro. Im Jahr 2023 musste die OBG sogar fast 3 Millionen Euro direkt an den FMO zahlen: €1,231 Mio. als Gesellschafterdarlehen und €1,759 Mio. als Zuführung zur Kapitalrücklage. Und das Ende ist nicht in Sicht: Bereits jetzt wird über ein „Finanzierungskonzept 3.0″ mit weiteren €17,5 Mio. für 2026-2030 verhandelt. Diese Gelder fließen direkt in die Förderung des klimaschädlichsten Verkehrsmittels und stehen im krassen Widerspruch zu den Nachhaltigkeitsbekenntnissen der Stadt. Die Intransparenz der Finanzströme über eine städtische Tochtergesellschaft erschwert zudem die öffentliche Kontrolle.

2. Das VfL-Stadion

Gleichzeitig werden für die Sanierung und Übernahme des Stadions an der Bremer Brücke rund 67 Millionen Euro veranschlagt. Die Stadt plant, das Stadion vollständig zu übernehmen, indem sie zunächst als alleinige investierende Instanz bei einer Kapitalerhöhung der Stadion KG auftritt (knapp €500.000) und anschließend die restlichen Anteile für symbolische Beträge erwirbt. Diese gewaltige Investition, die als Sicherung des Profifußballs und Schaffung einer „Leuchtturm-Immobilie“ gerechtfertigt wird, steht im krassen Gegensatz zur Sparpolitik im sozialen und ökologischen Bereich. Selbst im Stadtrat regt sich Widerstand: Robert Alferink (SPD) kritisiert die enorme Last, Oliver Hasskamp (FDP) hält das Projekt für nicht leistbar und Nicole Emektas (Linke) fordert die Umwidmung der Gelder. Die Entscheidung für das Stadion bei gleichzeitiger Vernachlässigung grundlegender öffentlicher Dienstleistungen ist ein Beispiel für eine Politik, die auf sichtbare Prestigeprojekte setzt, deren Nutzen für die breite Allgemeinheit jedoch fragwürdig ist.

Dabei ist unbestritten, dass eine Investition in den VfL Osnabrück für den Verein und seine Fans wertvoll sein kann. Doch im Gegensatz zur Verkehrswende handelt es sich hierbei nicht um eine Aufgabe der existenziellen Daseinsvorsorge, die allen Bürgerinnen und Bürgern zugutekommt. Besonders fragwürdig wird die Prioritätensetzung, wenn man den politischen Prozess betrachtet. Erinnern wir uns: Für den Radentscheid wurde über Monate eine breite gesellschaftliche Debatte geführt, es gab unzählige Gespräche, Tausende gesammelte Unterschriften und schließlich einen von vielen getragenen Beschluss. Und jetzt soll der millionenschwere Kauf eines Stadions ohne jede vergleichbare gesellschaftliche Legitimität im Hinterzimmer beschlossen werden? Ein solches Vorgehen untergräbt das Vertrauen in die Politik und erinnert fatal an die Umgestaltung des Ledenhofes, der zukünftig im Sommer so einladend sein wird wie ein Backofen – ein weiteres Ergebnis einer Entscheidung, die über die Köpfe der Bürger:innen hinweg getroffen wurde.

Klimaziele? Reine Fassade!

Während Osnabrück sich das Ziel der Klimaneutralität bis 2040 auf die Fahnen schreibt, torpediert die Stadt ihre eigenen Ambitionen. Die millionenschwere Subventionierung des Flugverkehrs und die Schwächung des ÖPNV treiben die Emissionen in die Höhe. Der offizielle städtische Nachhaltigkeitsbericht von 2023, der auf den Klimaschutzbericht 2022 verweist, bestätigt das Scheitern im Verkehrssektor: Der Trend bei den verkehrsbedingten CO₂-Emissionen wird insgesamt „negativ zu bewerten“ – sie sind seit 1990 sogar gestiegen. Die CO₂-Neutralitätsziele des FMO selbst beziehen sich primär auf den Bodenbetrieb und ignorieren die massiven Emissionen der Flüge. Die Ziele sind reine Fassade, die tatsächliche Politik ist klimafeindlich und von einer fundamentalen Inkohärenz geprägt, die jegliche Klimaziele zu reinen Symbolhandlungen verkommen lässt.

Um die Dimension der politischen Fehlentscheidung zu verdeutlichen, muss man sich ansehen, für wen das Geld ausgegeben wird. Der öffentliche Nahverkehr ist ein System der Daseinsvorsorge, das im Jahr 2023 für über 30 Millionen Fahrten in Osnabrück genutzt wurde. Hinter dieser Zahl stehen Pendler:innen, Schüler:innen, Senior:innen und Familien, die sich auf ein funktionierendes Netz verlassen. Dem gegenüber steht der Flughafen FMO, von dem eine ungleich kleinere Gruppe von Osnabrücker:innen profitiert. Von den knapp eine Million Passagier:innen des FMO im Jahr 2023 kam nur ein Bruchteil aus der Stadt selbst. Die städtischen Subventionen fördern also ein Verkehrsmittel für schätzungsweise nur wenige Hundert Osnabrücker Fluggäste pro Tag. Stellt man nun das Geld in diesen Kontext, wird die Prioritätensetzung absurd. Alleine im Jahr 2023 flossen fast 3 Millionen Euro von der Stadt an den FMO. Was hätte man mit derselben Summe für die 30 Millionen jährlichen Fahrten im ÖPNV erreichen können? Und welche Auswirkungen hat diese Entscheidung jeweils auf die Osnabrücker Nachhaltigkeitsziele?

Unsere Forderung: Schluss mit dem Wahnsinn! Steuergelder für die Zukunft statt für Ruinen!

Das Unordnungsamt fordert unmissverständlich:

  • Sofortiger Stopp aller Subventionen und Finanzhilfen für das Millionengrab FMO. Keine neuen Kredite oder Bürgschaften für diesen Zombie-Flughafen.
  • Überprüfung und gegebenenfalls Stopp der millionenschweren Stadioninvestition zugunsten dringenderer sozialer und ökologischer Projekte.
  • Umschichtung der freiwerdenden Millionen in den Ausbau eines funktionierenden und bezahlbaren ÖPNV, die vollständige und schnelle Umsetzung des Radentscheids, bezahlbaren Wohnraum, soziale Gerechtigkeit und echten, wirksamen Klimaschutz.
  • Ehrlichkeit in der Politik: Schluss mit der manipulativen Rhetorik vom „Ausgabenproblem“ und der Vortäuschung falscher Tatsachen. Die Bürger:innen haben ein Recht auf transparente Entscheidungen und eine Politik, die ihre Bedürfnisse ernst nimmt.

Die „harten Zeiten“ erfordern keine Politik des sozialen Kahlschlags und der ökologischen Ignoranz, sondern eine Politik des Mutes, der Solidarität und der Weitsicht. Es ist an der Zeit, den Geldhahn für klimaschädliche Prestigeprojekte zuzudrehen und in eine lebenswerte Zukunft für alle Menschen in Osnabrück zu investieren!

Die fortgesetzte Missachtung von Bürger:innenwillen und Nachhaltigkeitszielen untergräbt das Vertrauen in die lokalen demokratischen Institutionen und muss ein Ende haben.

Referenzen/Quellen